Am 27. Januar 1945 war das KZ Auschwitz befreit
worden; Bundespräsident Roman Herzog hatte den Tag 1996 als bundesweiten
Holocaust-Gedenktag proklamiert. In diesem Jahr widmete sich die Gedenkveranstaltung
den Zwangsarbeitern. Die für diesen Anlass geschriebene szenische Collage,
die auf der Basis historischen Materials Sadismus und Gräuel wieder aufleben
ließ, wie sie sich direkt in Mannheim zugetragen haben und auch sonstwo, ging
unter die Haut. Eine ungewöhnliche Veranstaltung, die niemand der Anwesenden
unberührt gelassen hat.
Wer wäre nicht schon einmal mit einem Touristen die gleiche Straße entlang
gegangen, hätte ihm den Weg erklärt, hätte ihn auf Sehenswürdigkeiten
aufmerksam gemacht? Die Frau, die 1944 mit einem Franzosen eine Straße in
Mannheim-Sandhofen entlang läuft, wird bald darauf ins Büro des
Gruppenführers gerufen. "Was bist du für ein Hurenmensch?" schreit
dieser Weickert sie an. Eine deutsche Frau macht so etwas nicht. Kahlgeschoren
muss sie mit dem Schild "Franzosenhure" um den Hals herumlaufen,
geschlagen, getreten, gedemütigt. Eine alte Frau erzählt in der Rückschau von
ihr, nah an der Gegenwart, vielleicht 50 Jahre nach den Ereignissen:
"Die soll sogar geschlechtskrank gewesen sein", wiederholt sie die
Verleumdung von damals.
Vom Hunger erzählt eine andere Szene, in der sich zwei Zwangsarbeiter
unterhalten, zwei von 1066, die im Herbst 1944 von Dachau nach Sandhofen in
die Gustav-Wiederkehr-Schule gebracht wurden und von denen viele nicht
überlebten. "Nur noch einmal richtig satt essen, bevor ich sterbe",
wünscht sich der eine, an nichts anderes kann er denken als an den Hunger.
Und dann die Szene, in der einer der Männer in KZ-Kleidung von dem schönen
Tag erzählt, der kalt war und sonnig. Am Strang endet der Mann, wegen nichts,
mitten auf dem Schulhof wird er gehängt, ein Exempel für die anderen. Wer
sich "draußen" auf die Mauer stellte, konnte zusehen. Jeder, der
wollte, konnte wissen von dem Unrecht, das in Sandhofen geschah.
Grausame, schonungslos brutale und deswegen aufrüttelnde zwölf Szenen hat der
Mannheimer Autor Walter Landin aus den beiden Prozessprotokollen gegen den
ehemaligen Gruppenführer Weickert (im Mai 1948 zu vier Jahren Haft wegen
gefährlicher Körperverletzung verurteilt, im Oktober 1950 begnadigt) und
seinen Stellvertreter Karl-Ludwig Flohr (im November 1952 zu 18 Monaten auf
Bewährung wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt, 1954 erlassen)
geschrieben, ergänzt durch die Biografien ehemaliger Häftlinge, die heute in
der Gedenkstätte in der Gustav-Wiederkehr-Schule einzusehen sind. Keine
leicht verdauliche Kost. Doch was hier eine Stunde lang weh tat, das brachte
damals Millionen Menschen den Tod. Allein in Mannheim mussten von 1939 bis
'45 über 25000 Zwangsarbeiter in 600 Betrieben Frondienst leisten, in
Deutschland über zehn Millionen, erinnerte Kulturdezernent Peter Kurz. Die
Schüler, die mit Darstellern des Schnawwl-Spielclubs und der
Senioren-Theater-Gruppe "Spätlese", begleitet von Gitarrist Hans
Reffert und unter der Regie von Eva Martin-Schneider daran erinnerten, haben
auf schockierend eindringliche Weise einen Beitrag zur Erinnerungskultur
geleistet. (jus)
(zurück)
|